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Coronavirus in China "Xi ist wie ein Geist"

Das Coronavirus fordert die Pekinger Führung heraus. Der Chinaexperte Richard McGregor erklärt, wieso Staatschef Xi so zurückhaltend reagiert - und was ihm noch gefährlich werden könnte.
Ein Interview von Georg Fahrion, Peking
Xi Jinping: Ein Mann mit Maske

Xi Jinping: Ein Mann mit Maske

Foto: Xie Huanchi/ dpa

SPIEGEL: Vor wenigen Wochen, als das Coronavirus sich bereits ausbreitete, hat Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping öffentlich erklärt: "Weder Sturm noch Gewitter werden unseren Fortschritt aufhalten." Ein politischer Fehler?

Richard McGregor: Aus heutiger Sicht wirkt es wie ein Fehltritt, aber wer weiß, was Xi zu diesem Zeitpunkt wusste. Abgesehen davon: So eine Rede könnte er morgen genauso gut erneut halten. Denn der "Chinesische Traum" (der Wiederaufstieg Chinas zur Weltmacht, Anm. d. Red.) soll bis 2049 Wirklichkeit werden. Ein langer Zeithorizont. Womöglich stellt es sich aus Xis Sicht so dar, dass die gegenwärtige Lage wirklich nichts weiter ist als ein vorüberziehender Sturm.

Zur Person
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privat

Richard McGregor, geboren 1958, gilt als einer der weltweit besten Kenner des chinesischen Systems, sein Buch "Der rote Apparat: Chinas Kommunisten"  gilt als Standardwerk. Von 2000 bis 2009 leitete der Australier die Büros der "Financial Times" in Peking und Shanghai. Heute arbeitet er als Senior Fellow für Ostasien am Lowy Institute in Sydney.

SPIEGEL: Die Führung misst der Lage aber große Bedeutung zu, sie hat den Premier Li Keqiang zum öffentlichen Gesicht der Krisenbekämpfung gemacht.

McGregor: Zunächst muss ich festhalten, dass auch das öffentliche Gesicht nicht sonderlich oft in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Der Premier ist einmal in einem Krankenhaus in Wuhan aufgetreten, davon abgesehen hat es sehr wenige Bilder gegeben, wie Mitglieder der Pekinger Führung sich beim Management dieser Krise die Hände schmutzig machen.

SPIEGEL: Wieso hat Xi es vermieden, sich selbst in die erste Reihe zu stellen?

McGregor: Er hat dieses sorgsam gepflegte Image, er schwebe über allem. Wie die früheren Führer Mao Zedong und Deng Xiaoping beobachtet er aus dem Hintergrund, wie sich die Dinge entwickeln. Er wartet ab. Für ihn gibt es keinen Grund, jetzt politisches Kapital zu verschwenden, zumal wir nicht wissen, wie die Lage sich entwickelt.

SPIEGEL: Dazu passt die Beobachtung, dass er einige Tage nicht im Staatsfernsehen zu sehen war. Auch hat er die am stärksten betroffene Provinz Hubei nicht besucht.

McGregor: Er ist wie ein Geist.

SPIEGEL: Am Montag hat Xi sich schließlich wieder gezeigt: Er besuchte ein Krankenhaus in Peking, trug dabei eine Atemmaske und ließ seine Temperatur messen. Wie deuten Sie das?

McGregor: Ein einzelner Auftritt wird nicht das ganze Narrativ über seine Rolle bestimmen. Man könnte argumentieren, dass seine Abwesenheit begann aufzufallen. Auch der Zeitpunkt war opportun, weil die Kurve der Neuinfektionen abgeflacht ist. Sein Auftritt könnte also ein gewisses Maß an Zuversicht ausdrücken, dass sich das Blatt gewendet hat.

SPIEGEL: Die Legitimität der Kommunistischen Partei beruht nicht auf Wahlen, sondern auf ihrer Performance. Die sieht derzeit nicht so gut aus.

McGregor: Ich halte mich da bei einer Bewertung lieber zurück. Nach Sars ist China sehr schnell wieder auf die Beine gekommen. Diesmal sieht es etwas schlechter aus, aber stellen Sie sich mal folgendes Szenario vor: Ende des Jahres ist die Epidemie unter Kontrolle, das Wirtschaftswachstum liegt bei sechs Prozent, vielleicht mehr - dann wird die Partei sagen: "Meine Güte, das war eine enorme Herausforderung, aber wir haben sie gemeistert."

SPIEGEL: Sie erkennen nicht, dass die Epidemie das System destabilisieren würde?

McGregor: Nein, noch nicht.

SPIEGEL: In der vergangenen Woche hat der Tod des Arztes und Whistleblowers Li Wenliang die Chinesen zutiefst aufgewühlt. Internetnutzer äußerten Trauer, Ärger - und forderten Meinungsfreiheit. Kann solcher Unmut das System potenziell ins Wanken bringen?

McGregor: Ohne Zweifel gab es einen Aufschrei über den Tod von Li. Das bereitet der zentralen Führung offensichtlich Sorgen, denn sie reklamieren ihn für sich selbst, sie machen ihn zu ihrem Helden.

SPIEGEL: Ein Held, der von den bösen Lokalbehörden gemaßregelt wurde, wohingegen das Zentrum ihm zur Seite gesprungen ist - so sollen die Chinesen es verstehen.

McGregor: Ich glaube allerdings, dass nicht der Tod von Li, sondern die Entwicklung der Wirtschaft den Ausschlag geben wird. Wenn sie sich nicht erholt - oder durch schlecht austarierte Konjunkturprogramme in Schieflage gerät -, dann könnte die Unterstützung der Bevölkerung für Xi tatsächlich schwinden. Schauen Sie: Xi kann mit den Fingern schnipsen, und alles geschieht nach seinem Willen. Doch mit einem Fingerschnipsen kann er kein Virus abtöten oder sechs bis sieben Prozent Wachstum erzeugen, wenn die Wirtschaftslage das einfach nicht hergibt. Diese Dinge zeigen die Grenzen seiner Macht auf.

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Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema.