Die Dominanz des Westens ist für immer dahin. Der Aufstieg zumal Chinas schafft ein neues geopolitisches Schwergewicht. Die transatlantische Gemeinschaft, siebzig Jahre lang die tragende Säule der liberalen Weltordnung, ist zutiefst gespalten; die Nato funktioniert militärisch, doch ihr politischer Unterbau, eine Gemeinsamkeit der Interessen und der Werte, ist brüchig. Die Trump-Regierung sieht die Europäische Union nicht länger als engsten Freund; der Präsident unterstützt alle, die ihren Kollaps wollen. Auch andere Mächte haben nicht unbedingt ein Interesse am Gelingen der europäischen Integration. Die Brüsseler Gemeinschaft selber, geschwächt durch den Brexit, findet nicht zu der Einheit, die unabdingbar ist für ihre Selbstbehauptung in der Welt der neuen Großmachtpolitik.

Es waren vor allem drei Rednerauftritte, welche die Gespaltenheit des Westens widerspiegelten. Die Rede von Bundespräsident Steinmeier hätte man sich von der Kanzlerin gewünscht. Der französische Staatspräsident – eloquent, brillant und gewinnend – mahnte die Europäer zum Aufbruch; sie sollten wieder Freude an der Zukunft aufbringen, ihre Mittelklasse versöhnen und strategische Dialoge führen – auch mit Russland. Trumps Außenminister Michael Pompeo widersprach dem Spenglerschen Untergangspessimismus und beschwor einen angeblichen Siegeszug des westlichen Modells ("Der Westen gewinnt, Freiheit und Demokratie gewinnen.") und verteidigte Amerikas Alleingänge.

Ausgesprochen und unausgesprochen ging es in München um drei Themen: erstens um die Beziehungen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten, zweitens um die Stärkung des europäischen Pfeilers in der Nato, drittens um die Grundlinien einer europäischen Außenpolitik.

Zweifel an Trumps Bündnistreue

Das schwindende Interesse Amerikas an Europa konstatierte der Bundespräsident. Es werde weitergehen, fügte er realistischerweise hinzu, denn das neue Gravitationszentrum amerikanischer Interessen und Herausforderungen liege in Asien. Doch drückte er die Hoffnung auf ein Amerika aus, das "die Europäische Integration wieder – wie so lange und zu Recht – als ein überaus wertvolles und verbindendes Projekt sieht".

Bedauerlicherweise hat es ganz den Anschein, dass wir auf solch ein Amerika noch fünf Jahre warten müssen. Donald Trump, der Großmeister der Disruption, der sich aus internationalen Verträgen zurückzieht und dessen militärisches Engagement im Bündnisfall in Zweifel steht, wird am 3. November wohl wiedergewählt.

Es sind nicht nur Zweifel an Trumps Bündnistreue, die den Aufbau einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion auf die Dringlichkeitsagenda gesetzt haben. Offiziell werden diese Zweifel auch entschlossen unterdrückt, weil sie die Abschreckung unterminieren. Der Bundespräsident stimmte denn auch Emmanuel Macrons Satz zu: "Die Sicherheit Europas gründet auf einem starken Bündnis mit Amerika." Aber zugleich betonen beide die Souveränität Europas. Sie erfordere es, die Europäische Union als zweiten Pfeiler der Nato sicherheitspolitisch und militärisch stark zu machen.

Macron ging dabei ein weiteres Mal so weit, den EU-Staaten einen strategischen Dialog darüber anzubieten, wie die französischen Atomwaffen in den Dienst der kollektiven Sicherheit der EU gestellt werden können. Die Bundesministerin der Verteidigung reagierte darauf mit unverständlicher Zagheit und Zögerlichkeit. Warum denn die Teilhabe an Frankreichs strategischer Planung nicht auf dieselbe Ebene heben wie die nukleare Planung für die US-Waffen innerhalb der Nato?