Zum Inhalt springen

EU-Entscheidung zu Kambodscha "Der einzige Gewinner ist China"

Die Regierung in Kambodscha unterdrückt Oppositionelle und Journalisten. Die Folge: Die EU hat Teile der Handelsvergünstigungen gestrichen. China wird das Vakuum füllen, sagt der Experte Ou Virak.
Ein Interview von Vanessa Steinmetz
Fabrikarbeiterinnen in Kambodscha: "Die Entscheidung nützt niemandem"

Fabrikarbeiterinnen in Kambodscha: "Die Entscheidung nützt niemandem"

Foto: Ann Wang/ REUTERS

Viele Kambodschaner haben noch nie einen anderen Machthaber als Hun Sen erlebt. Seit knapp 35 Jahren ist er als Ministerpräsident in dem südostasiatischen Land an der Macht. Wenn es nach ihm geht, wird das auch die nächsten Jahre so bleiben.

Erst vor zwei Jahren entschied er wieder eine Wahl für sich - mit umstrittenen Mitteln. Die größte Oppositionspartei Kambodschas, die Nationale Rettungspartei (CNRP), musste er da schon nicht mehr fürchten: Sie wurde bereits im November 2017 aufgelöst. Auch Journalisten können nicht frei arbeiten, Medien wurden in den vergangenen Jahren entweder verboten oder auf Regierungskurs gebracht. China stört das nicht. Die Machthaber in Peking subventionieren seine Macht mit Milliardeninvestitionen.

Kambodschas Premier Hun Seun und sein chinesischer Amtskollege Li Keqiang

Kambodschas Premier Hun Seun und sein chinesischer Amtskollege Li Keqiang

Foto: Pool/ Getty Images

Nicht nur die USA, auch die Europäische Union sieht die Vorgänge kritisch. Nun ist eingetreten, was viele Kambodschaner schon seit Längerem fürchteten: Die EU setzt wegen systematischer Verstöße gegen die Menschenrechte ihre Handelsvergünstigungen für das Land teilweise aus. Für ein Fünftel der kambodschanischen Exporte, die unter die Regelung "Alles außer Waffen" (Everything But Arms, EBA) fallen, werden künftig keine Zollvergünstigungen mehr gelten.

Die Europäische Union werde nicht tatenlos zusehen, wie die Demokratie in Kambodscha ausgehöhlt werde, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell. Die EU-Kommission will nun die Zollfreiheit für bestimmte Kleidung und Schuhe, Zucker sowie Produkte des Reisebedarfs aussetzen.

Zur Person
Foto: Maria Feck

Ou Virak, geboren 1976, ist ein kambodschanischer Wirtschaftsanalyst und Menschenrechtler. Nach dem Studium in Kalifornien kehrte er in sein Heimatland zurück. In Phnom Penh gründete er den Think Tank "Future Forum". Er ist Vorsitzender der "Allianz für Meinungsfreiheit" in Kambodscha.

SPIEGEL: Herr Ou Virak, was halten Sie von der EU-Entscheidung?

Ou Virak: Die EU war in einer sehr schwierigen Situation, weil es keine gute Optionen für sie gab. Die Botschaft ist sehr klar und alle wissen, was jetzt zu tun ist. Vor allem sollte der Opposition im Land wieder die Möglichkeit gegeben werden, wieder politisch aktiv sein zu dürfen. Außerdem müssen demokratische Strukturen wiederaufgebaut werden. Mit der EU-Entscheidung liegt der Ball im Feld der Regierung von Premier Hun Sen.

SPIEGEL: Baut die EU mit ihren Maßnahmen genug Druck auf, um tatsächliche Veränderungen anzustoßen?

Ou Virak: Wir sprechen über Zölle auf kambodschanische Exporte im Wert von einer Milliarde, also am Ende über etwa 120 Millionen Euro. Das ist für Kambodscha ein signifikanter Betrag, aber nicht signifikant genug, dass China nicht als Geldgeber einspringen könnte.

SPIEGEL: Wird China seinen Einfluss im Land weiter ausbauen?

Ou Virak: Bei der Frage geht es gar nicht um die Summe, China hat hier schon weit mehr investiert als die 120 Millionen Euro. Für die Regierung von Hun Sen ist vielmehr wichtig, ob sie die EU weiterhin als verlässlichen Handelspartner betrachten kann. Wenn China nun in sogenannten "harten Zeiten" als Retter einspringt, scheint Peking der stabilere Partner. Vor allem, wenn das kambodschanische Regime weiterhin an der Macht bleiben will.   

SPIEGEL: Hat die EU also doch einen Fehler gemacht?

Ou Virak: Nein, die kambodschanische Regierung hat im Bereich der Soft Power und der internationalen Reputation durchaus verloren. Aber es ist richtig, dass die Entscheidung niemandem wirklich nützt: nicht der EU, nicht der Regierung Kambodschas, nicht den Arbeitern in den Fabriken. Der einzige Gewinner ist China.

SPIEGEL: Dass die chinesische Regierung einspringen würde, war doch aber absehbar.

Ou Virak: Die EU wird zwei Dinge in Betracht gezogen haben, weshalb sie nicht mit voller Härte vorgegangen ist. Zum einen wollten die Verantwortlichen in Brüssel nicht diejenigen sein, die Maßnahmen treffen, die vor allem die Ärmsten im Land treffen. So wäre es aber gekommen, wenn beispielsweise Fabriken geschlossen werden müssten. Zum anderen wollten sie Kambodscha nicht komplett an die Chinesen verlieren. Wenn sie alle Handelsvergünstigungen aufgehoben hätten, und nicht nur ein Fünftel, wäre ihnen das Land entglitten und es hätte keine Hoffnung mehr auf spätere Verhandlungen gegeben.

SPIEGEL: Fast zeitgleich mit der EBA-Entscheidung zu Kambodscha hat die EU verkündet, dem Freihandelsabkommen mit Vietnam zuzustimmen. Das Regime dort regiert ebenfalls zunehmend repressiv. Ist das nicht scheinheilig?

Ou Virak: Es gibt da Unterschiede: Das Freihandelsabkommen funktioniert in beide Richtungen, die EU wird von zollfreien vietnamesischen Produkten profitieren. Die Handelsvergünstigungen hingegen sind ein einseitiger Deal. Außerdem ist Vietnam geopolitisch viel wichtiger für Europa.

SPIEGEL: Warum?

Ou Virak: Vietnam ist einer der Protagonisten im Streit um Inseln im Südchinesischen Meer, die China für sich reklamiert. Vietnam hält seit Jahren dagegen. Deshalb wollen die EU-Staaten, die besorgt sind über den Aufstieg Chinas, die vietnamesische Regierung stärken. Und es gibt noch weitere Gründe: Die vietnamesische Wirtschaft wächst ziemlich schnell, das Land hat eine Bevölkerung von mehr als 100 Millionen zumeist junger Menschen. Vietnam ist wie China vor 20 Jahren. Die günstigen Produktionsstätten sind für europäische Firmen eine gute Alternative, wenn sie nicht mehr in China herstellen lassen wollen.

Foto: SPIEGEL ONLINE

SPIEGEL: Strategische und ökonomische Vorteile sind also wichtiger als die Einhaltung der Menschenrechte?

Ou Virak: Ich glaube, dass der EU Menschenrechte und Demokratie schon noch wichtig sind. Aber es müssen eben viele Interessen gegeneinander abgewogen werden. Und da schlägt die Politik die Menschenrechte. So läuft es in der Welt.